The Die Ellen-White-Untersuchung

Eine Frage der Ethik

Kapitel 11

Wie man Geschichte verändert

Walter T. Rea


Mehr als ein zusammenfassendes Werk ist bereits über Ellen und ihr „Ausleihen“ geschrieben worden. Ohne Zweifel wird noch mehr geschrieben werden, da verschiedene Personen ihre Köpfe und Herzen von lang anhaltenden, betrübenden Missverständnissen befreien. Türen, die seit hundert Jahren oder länger verschlossen waren, werden nun auf schmerzhafte Weise von einer anderen Generation geöffnet. Man kann nur hoffen, dass genügend Füße in den Türspalt geklemmt werden, um die Tür am Wiederzuschlagen zu hindern. Einige, die vor den 1930er Jahren schrieben, um gegen das zu protestieren, was geschah, scheinen so erfolgreich bekämpft worden zu sein, dass eine oder zwei Generationen von Adventisten irreführend belehrt worden sind.1 Weiteres Material wird mit der Zeit zum Vorschein kommen, auch durch die ständige Suche der Forscher nach dem, was unter der Oberfläche liegt.

Viele Jahre schon wird über die Verschwiegenheit des White Estate und dessen extrem striktes Verhalten geredet, das es sogar gegenüber Freunden der Gemeinschaft übt, die nach wahrheitsaufdeckenden Informationen suchen. Die Unmöglichkeit des Zugangs zu Quellenmaterial, wenn man es nicht herausschmuggelt, hat natürlich die Mutmaßungen verstärkt.

Aber die Zeiten haben sich seit 1844 geändert. Heute sind die Türen, die wirklich noch verschlossen sind, diejenigen, die zum Verstand heutiger Evangeliumsverkünder führen, die in blinder Loyalität weiter der „Gesellschaftsnorm“ parieren – Eiferer ohne Rücksicht auf Genauigkeit und Ehrlichkeit. Diese Türen sind am schwierigsten zu öffnen, denn sie wurden durch jene Personen geschlossen, denen die Anhänger das vollste Vertrauen geschenkt hatten; ihr Gedächtnis wurde durch Furcht verschlossen, sodass sie nicht nachdenken oder forschen könnten, damit der Fluch der Supersalesmen nicht auf sie fiele. Schlimmer noch sind diejenigen dran (wer auch immer auf dieser Seite steht), die fürchten, dass Gott Blinde durch blinde Führer auf dem Wüstengang leiten möchte.

Studien haben einwandfrei bewiesen, dass gewisse Ansichten unwiderlegbar sind. Sogar Robert Olson vom White Estate hat dies zugestanden, in seinem Brief vom 4. September 1980:

„Lass mich dir versichern, dass wir unser Möglichstes tun, das aufzuarbeiten, was getan werden muss. Das neunzehnseitige Dokument, auf das du dich beziehst, über Ellen Whites Verwendung von uninspirierten Quellen, wurde im Blatt der Australasiatischen Division veröffentlicht. Es ist ebenfalls ins Deutsche übersetzt worden und allen unseren Predigern in Westdeutschland zugegangen. Eine etwas abgeänderte Fassung des Artikels ist in das Lektionsheft der Sabbatschule für die Jugend eingearbeitet worden, das zurzeit in Lincoln, Nebraska herausgegeben wird. Ebenso haben wir diesen Artikel unseren Vereinigungsvorstehern rund um den Globus zur Verfügung gestellt und diese Angelegenheit in vielen Mitarbeiterversammlungen hier und im Ausland vorgestellt. Jedoch meinen wir, dass dies erst ein vorläufiger Zustand ist. Das Direktorium der Generalkonferenz hat sich entschlossen, einen unserer Professoren der Andrews-Universität mit einer zweijährigen Studie zu beauftragen, in der die Werke von Ellen White über das Leben Christi in aller Genauigkeit untersucht werden sollen, und zwar speziell die Fragen der literarischen Ausleihe.“2

Könnte dies derselbe Robert Olson sein, der vor weniger als zwei Jahren vor einem Publikum in Loma Linda stand und erklärte, daß wirklich nichts an all dieser Diskussion über Ellen White und ihre Schriften dran sei? 3 Andererseits kann Olsons Aussage nicht so angesehen werden, daß es eine neue „offene-Tür-Politik“ im White Estate gibt. Ein späterer Brief aus demselben Jahr (Oktober 1980) enthüllt, wie sehr die Stahlkammern des White Estate noch geschlossen sind: „Der Älteste … sieht die Angelegenheit, wie ich meine, nicht so, wie er sie sehen sollte.“4 Und die Worte, die er zu einer internen Gruppe zwei Jahre früher sagte, waren nicht wertlos, denn...

„...das würde dem White Estate nichts für Jims [Cox] Zeit kosten, und ich glaube, daß wir mit ihm in Verbindung bleiben können, so daß die Schlüsse, zu denen er gelangt, im Wesentlichen die gleichen wären wie die, zu denen wir kämen, wenn wir die Arbeit selbst täten. Wir könnten Jim bitten, dem Komitee alle zwei oder drei Wochen einen Bericht zu geben.“ 5

Aber die Druckerpresse ist schärfer als das Schwert. Olsons Schwert wurde im Zweikampf mit der Presse abgestumpft, sogar als jene Presse nur aus einer Schnellkopiermaschine bestand. Gemeindeglieder in einigen Teilen der Welt sind zum ersten Mal aufmerksam geworden auf das riesige Problem von Ellens unrechtmäßigem Gebrauch fremder Werke und auf die Tatsache, daß etliche Fragen beantwortet werden müssen. Weltweit sind viele Adventisten nicht mehr bereit, die ethisch nicht einwandfreien Antworten ihrer „Supersalesmen“ zu akzeptieren.

Die ethischen Probleme kann man durch die Tatsache zusammenfassen, daß in den letzten Jahren eine gute Arbeit in der Erforschung von Ellens Leben und ihren Werken geleistet wurde und wesentliche Informationen darüber geliefert wurden.

1. Es steht nun fest, daß Ellen nicht die Erstautorin ihrer Werke war; ihr Material war von anderen Quellen entnommen — und zwar in allen Fragen, auf allen Gebieten und in allen Büchern.6

2. Es ist ebenso klar, daß Ellen in der Tat durch ihre Umgebung, ihre Gehilfen und andere religiöse Schriftsteller, von denen sie Material heranzog (durch Kopieren, Umschreiben und desgleichen), wesentlich beeinflußt wurde.7

3. Das Dementi, das in der Öffentlichkeit bekanntgegeben wurde, befaßt sich unehrlich mit einer Streitfrage, d. h. mit den Einleitungen zu den Ausgaben von Der große Kampf von 1888 und 1911. Warum würde irgendjemand aus dem publizierten Werk eines anderen zitieren, ohne diese Person als seine Quelle zu erwähnen?

4. Es wurde nun zugestanden, daß Ellen viel mehr Hilfe hatte, als den Gemeindemitgliedern glaubhaft gemacht worden war, und daß ihre Helfer in der Tat einen großen Spielraum besaßen beim Sortieren und Arrangieren des Materials für die endgültige Herausgabe.8 Darüber hinaus — als zusätzliche Personen zu den schon gutbekannten redaktionellen Assistenten wie Marian Davis, Clarence C. Crisler, Dores E. Robinson, Mary Steward, Fannie Bolton, Mary H. Crisler, Sarah Peck, Maggie Hare und H. Camden Lacey — sollte man einem späteren Ausspruch von Willie White Beachtung schenken, der weitere unbekannte Helfer erwähnt: „Ab 1860 wurden einige ihrer Manuskripte und einige ihrer Zeugnisse für die Publikation von Familienmitgliedern abgeschrieben.“9 Dann nennt er solche Namen wie Lucinda Abbey Hall, Adelia Patten Van Horn, Anna Driscoll Loughborough, Addie Howe Cogshall, Annie Hale Royce, Emma Sturgis Prescott, Mary Clough Watson und Mrs. J. L. Ings. Es besteht die Möglichkeit, daß noch weitere Personen mitmischten.

5. Ellen hatte nicht immer das letzte Wort bei dem, was geschrieben und publiziert wurde.10 Auch wenn nachgewiesen werden könnte, daß sie „immer die Kontrolle“ hatte, würde dies nicht die ethischen Fragen lösen.

6. Es kann weder guten Gewissens noch aus gutem Anstand behauptet werden, daß die „verbale Inspiration“ das Problem für diejenigen war, die erkannten und verstanden, was um sie herum geschah. Sie wußten, was geschah, und konnten diese Schriften nicht als von Gott eingegeben akzeptieren; deswegen konnten sie auch nicht hinwegsehen über das, was getan wurde.11

7. Falls irgendjemand diese Angelegenheit verurteilte, wurde diese Person mit einem verdammenden Zeugnis belegt oder gebeten zu gehen oder, was sogar noch schlimmer ist, als ein Feind der Gemeinschaft und der Wahrheit gebrandmarkt.12

8. Nicht alle Pioniere und Gemeinschaftsangestellte akzeptierten oder glaubten, daß alles, was Ellen schrieb, von Gott stammte und immer inspiriert war. Ihre Autorität war nicht die endgültige Autorität für die Pioniere.13

9. Ellen wußte selbst sehr gut, was bearbeitet wurde, und sie hatte an allem Anteil. Sie ermutigte andere, die für sie arbeiteten, das Gleiche wie sie zu tun und nichts darüber zu sagen.14

Die letzte Aussage (Nr. 9) scheint das größte ethische Problem für die Adventgemeinde der Gegenwart zu schaffen. Robert Olson meinte, daß eine gewisse Person „die Leser dahingehend führen will, daß sie einsehen, Ellen White wäre unehrlich und betrügerisch gewesen.“15 Wegen der empfindlichen Natur dieser Beschuldigung ist es notwendig, kenntnisreiche Zeugen sprechen zu lassen, damit sie bezeugen, was sie sahen oder sagten.

Niemand, der nun Ellen und ihre Taten verteidigt, hat zu der Zeit ihrer Arbeit gelebt. Nicht einmal ihr Enkel Arthur kann ein akzeptabler Zeuge sein. Seine Großmutter war über achtzig Jahre alt, als er geboren wurde, und was immer sie für die Gemeinde tat, war ohne die Aufsicht oder Kenntnis von Arthur geschehen. Selbstverständlich waren Ronald D. Graybill und Robert W. Olson (beide vom White Estate) damals nicht anwesend, und sie müssen deswegen als zuverlässige Zeugen disqualifiziert werden.

Darüber hinaus haben alle drei Vorurteile und stehen in einem Interessenkonflikt. Ihre Positionen, ihre Ehre und ihre finanziellen Verbindungen machen sie zu nicht akzeptablen Zeugen aus erster Hand — und das vor jedem Gericht. Der einzige Vorteil, den sie haben, ist ihre Zugangsmöglichkeit zu Material und Informationen, die sie vor der Öffentlichkeit verschlossen halten. Aber es gab Zeugen, die Einsicht hatten und sich äußerten. Sie alle müssen vor einem Gericht sprechen, auch wenn ihre Aussagen nur unvollständig sind.

1. J. N. Andrews

Einer der Gründer der Gemeinschaft; eifriger Autor; Schriftleiter. Ein Zeitgenosse von Ellen White, ihr Freund und Berater. Einige seiner Ideen und Aussagen sind in ihre gedruckten Werke eingeflochten worden, als sie ihre Theologie formulierte. J. N. Andrews, der zu dieser Zeit in Battle Creek war, war sehr interessiert.

Nach einer Versammlung sagte er ihr, daß einige der Dinge, die sie vorgebracht hatte, wie aus einem Buch klangen, das er gelesen hatte. Dann fragte er sie, ob sie Paradise Lost schon gelesen hätte. Einige Tage später kam Bruder Andrews zu ihr mit einem Exemplar von Paradise Lost und bot es ihr an.16

2. Uriah Smith

Schriftleiter des Review zu Ellen Whites Zeit; persönlicher Freund der Whites; ein Autor, dessen Material seinen Platz in Ellens Theologie und in ihren Büchern fand.

Es kommt mir vor, als ob die Zeugnisse eine Form angenommen haben, die es zwecklos macht, die enormen Ansprüche, die darin enthalten sind, noch weiter zu verteidigen. Wenn alle Brüder bereit wären, diese Angelegenheit aufrichtig und umfassend zu untersuchen, könnte, so glaube ich, ein gemeinsames Fundament gefunden werden, auf dem alle stehen könnten. Aber einige, die Vorschriftsmenschen sind oder eine zerstörerische Gesinnung haben, sind so dogmatisch und hartnäckig, daß irgendeine Anstrengung in dieser Richtung nur zu einer Zerstörung des Leibes Christi führen kann.17

3. George B. Starr

Evangelist, Prediger, Lehrer und Verwalter. Er begleitete Ellen White nach Australien und verteidigte immer ihre Werke und ihren Ruf.

Nachdem ich mein Zimmer verlassen hatte, ging ich an Schwester Whites Tür vorbei. Da die Tür offen stand, sah sie mich und bat mich herein: „Ich bin in Schwierigkeiten, Bruder Starr, und würde dich gerne sprechen.“ Ich fragte sie nach der Ursache ihrer Probleme, und sie entgegnete: „Meine Schriften. Fannie Bolton!“18

4. Fannie Bolton

Assistierende Schriftleiterin von Ellen White in Australien. Oftmals für ihre redaktionelle und schriftstellerische Begabung gelobt. Von Ellen White entlassen.

Jahrelang versuchte ich, in Einklang zu bringen, was mit einer weltlichen literarischen Maxime in Widerspruch stand, nämlich daß ein Autor seine Quellen anerkennt und die Werke, aus denen er zitiert, nennt. Da Schwester White dieser Angelegenheit nicht günstig gegenüberstand, wollte ich beim Prinzip der üblichen Rechtschaffenheit und literarischen Ehrlichkeit bleiben und fühlte mich deshalb als Märtyrerin um der Wahrheit willen.19

5. Merritt G. Kellogg

Freund der Whites; Halbbruder von John Harvey Kellogg; wahrscheinlich der erste Adventist, der Kalifornien erreichte und dort evangelistische Versammlungen hielt.

„1894 [in Australien] erzählte mir Mrs. White, als sie den Großen Kampf schrieb und für die Presse vorbereitete, daß Marian Davis und Fannie Bolton dafür verantwortlich wären. Weiter sagte sie mir, daß diese Mädchen für Verschiedenes verantwortlich waren, was in der jeweiligen Fassung in das Buch einging. Mrs. White sagte mir nicht, welches Unrecht die Mädchen begangen hatten. Ich glaube, daß sie deshalb mit mir sprach, weil Fannie Bolton zu mir gekommen war. Ich sagte ihr nur das, was Fannie mir gesagt hatte.... ‚Ab jetzt‘, sagte Schwester White etwas hitzig, ‚soll Fannie Bolton nie mehr eine Zeile für mich schreiben.‘ Seit diesem Tag bis zum heutigen sind meine Augen offen geblieben.“20

6. John Harvey Kellogg

Chirurg, Erfinder, Verfechter gesunder Lebensweise, Schriftsteller, Dozent, Lehrer und Geschäftsmann. Ein langjähriger persönlicher Freund der Whites.

„Ich glaube nicht an ihre Unfehlbarkeit, und ich habe es nie getan. Ich habe ihr bereits vor acht Jahren ins Gesicht gesagt, daß einige Aussagen, die sie mir als Zeugnisse gesandt hatte, nicht der Wahrheit entsprachen und nicht mit den Tatsachen im Einklang standen. Sie selbst hat dies eingesehen. Ich habe einen Brief von ihr, in dem sie erklärt, warum sie mir einige Aussagen zugeschickt hat.... Ich kenne einige Personen, die zu Schwester White mit Plänen oder Vorstellungen gegangen sind, um ihre Zustimmung dafür zu erhalten und um dann aufzustehen und sagen zu können: ‚Der Herr hat gesprochen.‘ Aber ich weiß, daß dies Betrug ist und eine unfaire Ausnutzung des Verstandes und des Gewissens der Menschen. Ich habe kein Verständnis für solch eine Sache, und das habe ich W. C. White schon vor langer Zeit gesagt.“21

7. Mary Clough

Nichte; Tochter von Ellen Whites Schwester Caroline. Obwohl sie selbst keine Adventistin war, war sie zeitweise schriftstellerische Gehilfin, Werbeagentin und Helferin bei den White-Schriften. Von Ellen entlassen.

„[George B. Starr zitiert Ellen White:] Ich will dir von einer Vision erzählen, die ich ungefähr um zwei Uhr morgens hatte. Es erschien eine goldene Kutsche und silberne Pferde über mir, und Jesus, in königlicher Würde, saß in der Kutsche. Ich war höchst beeindruckt von der Pracht dieser Vision. Dann kamen Worte wie aus Wolken herab, von den Lippen Jesu gesprochen: ‚Fannie Bolton ist deine Gegnerin!‘ Dieselbe Vision hatte ich schon etwa sieben Jahre zuvor, als meine Nichte Mary Clough meine Texte bearbeitete.“22

8. George W. Amadon

Diente fünfzig Jahre lang in verschiedenen Bereichen der Review and Herald Publishing Association und für die Gemeinschaft in drei Städten. Ein Freund der Whites.

„Ich wußte, daß ein großer Teil davon [vom Buch How to Live] geliehen war. [Mit Bezug auf Sketches from the Life of Paul] sagte ich, daß Schwester White nie die Vorworte zu ihren Büchern schreibe; ich weiß zufällig, wer sie schreibt. Und ich erwähnte, daß bereits im Vorwort formell festgestellt wurde, daß einige Teile von anderen Werken entnommen seien. Jedoch hätten wörtlich kopierte Passagen in Anführungsstriche gesetzt, in feinerem Druck, mit Fußnoten oder in irgendeiner anderen gebräuchlichen Weise gekennzeichnet werden müssen. Niemals hat sie die Probeabzüge gelesen. Schwester White hat sich nie in ihrem Büro niedergesetzt und die Abzüge richtig durchgelesen. Du weißt genau so gut wie ich, wie ihre Texte in den Tagen des Ältesten [James White] gehandhabt wurden.“23

9. Arthur G. Daniells

Prediger; Verwalter; berühmt als einer der treuesten Leiter der Adventgemeinde; Präsident der Generalkonferenz von 1921–1922. Enger persönlicher Freund der Whites; mit Ellen in Australien gewesen.

„Jetzt weißt du etwas über das kleine Buch The Life of Paul. Du kennst die Schwierigkeiten, in die wir deswegen gerieten. Niemals konnten wir der ganzen Idee und der Aufmachung das Recht auf Inspiration gewähren, da es der schlichten Aufmachung wegen beiseitegeschoben wurde. Die Quellen wurden nicht zitiert, und einiges hiervon hat sich in Der große Kampf eingeschlichen – die fehlenden Quellenangaben. Bei mir persönlich hat dies nie meinen Glauben erschüttert, aber es gibt Männer, die hierdurch sehr verletzt worden sind, und ich meine, daß sie diese Texte viel zu hoch bewertet haben.“24

10. Benjamin L. House

Collegeprofessor für Religion; Teilnehmer der Bibelkonferenz von 1919.

„Aber solche Bücher wie Sketches from the Life of Paul, Das Leben Jesu und Der große Kampf sind von ihren Sekretären auf eine andere Weise verfaßt worden, wie es mir scheint, als die neun Bände der Zeugnisse.“25

11. W. W. Prescott

Einer der großen Lehrer im Adventismus; Bibellehrer; Redakteur des Review; Gründer von zwei Colleges; Direktor von drei Schulen. Half mit Berichtigungen und Beiträgen bei Ellen Whites Buchmaterial.

„Es scheint mir, daß auf uns, die wir die schweren Fehler in unseren autorisierten Büchern kennen und keine besondere Anstrengung unternehmen, sie zu korrigieren, eine sehr große Verantwortung liegt. Viele Menschen und durchschnittliche Prediger vertrauen uns, daß wir sie mit zuverlässigen Darstellungen beliefern, denn diese benutzen sie als weitgehende Autorität in ihren Predigten. Aber wir lassen sie Jahr für Jahr Dinge behaupten, von denen wir wissen, daß sie unwahr sind. Es scheint mir, daß das, was auf Betrug hinausläuft, bei der Erstellung einiger unserer Bücher praktiziert wurde, obgleich wahrscheinlich nicht absichtlich, aber es war auch keine besondere Mühe zu beobachten, die Leute über diesen Punkt aufzuklären.“26

12. Willard A. Colcord

Prediger; Redakteur; Sekretär für Religionsfreiheit bei der Generalkonferenz.

„Der Gebrauch von so viel fremdem Textmaterial in Schwester Whites Schriften, ohne zu zitieren oder die Quellen zu nennen, brachte sie und ihre Werke in ziemlich große Schwierigkeiten. Eine der Hauptaufgaben der jüngsten revidierten Fassung von Der große Kampf war es, solche Angelegenheiten in Ordnung zu bringen. Einer der Hauptgründe, warum Sketches from the Life of Paul nicht wieder gedruckt wurde, lag in den erheblichen Mängeln, die es unter diesem Gesichtspunkt hatte.“27

13. H. Camden Lacey

Professor für die Heilige Schrift und biblische Sprachen an fünf adventistischen Colleges; Prediger; persönlicher Freund der Whites.

„Schwester Marian Davis wurde die Vorbereitung von Das Leben Jesu anvertraut, und sie sammelte ihr Material aus allen verfügbaren Quellen. Sie war sehr besorgt, passendes Material für das erste Kapitel zu finden (aber auch für die anderen Kapitel), und ich tat alles, was ich konnte, ihr dabei zu helfen. Außerdem habe ich guten Grund anzunehmen, daß sie auch Professor Prescott fortlaufend um ähnliche Hilfeleistungen gebeten hat, und sie hat diese auch weitgehend und in weit größerem Ausmaß von ihm erhalten, als ich es hätte tun können.“28

14. Healdsburg Ministerial Association

In der lokalen Stadtzeitung erschien am 20. März 1889 ein Bericht über deren Untersuchung von fünf Büchern, bei denen sie feststellten, daß Ellen White abgeschrieben hatte.

Der Älteste Healey würde den Ausschuß dazu bringen, zu glauben, daß sie keine belesene Frau sei. Außerdem würde er die Ausschußmitglieder auffordern zu glauben, daß die historischen Tatsachen und die Zitate ihr in Gesichten gegeben wurden, ohne daß sie auf gewöhnliche Informationsquellen angewiesen wäre. Würde nicht jeder Literaturkritiker, der nach den vorgelegten Zitaten und einer Zusammenstellung von nachgewiesenen Passagen urteilt, zu dem Schluß kommen müssen, daß Frau White, als sie ihren Großen Kampf, Band IV, schrieb, die offenen Bücher vor sich hatte und ihnen beides, Ideen und Worte, entnahm?29

15. James White

Einer der Gründer und Organisatoren der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten. Lehrer, Redakteur, Verleger, Prediger und Verwalter. Ehemann von Ellen White.

„Jeder Christ hat die Verpflichtung, die Bibel als vollkommenen Maßstab für den Glauben und den Dienst zu nehmen. Jeder sollte in glühender Weise um die Hilfe des Heiligen Geistes beten, um befähigt zu werden, die Heilige Schrift nach der ganzen Wahrheit und nach seiner ganzen Pflicht durchforschen zu können. Keiner hat die persönliche Freiheit, sich von diesem abzuwenden, um seine Aufgabe durch irgendwelche anderen Gaben zu erfahren. Wir sagen, daß, wenn er es täte, er die geistlichen Gaben auf einen falschen Platz stellt und dadurch eine äußerst gefährliche Stellung einnimmt. Das Wort Gottes sollte im Vordergrund stehen, und das Augenmerk der Gemeinde sollte darauf bedacht sein, es als eine goldene Regel unseres Weges anzusehen, als den Brunnen der Weisheit, von dem wir unseren Dienst in allen guten Werken lernen können.“30

16. Ellen Gould White

Die Zusammenstellerin und Bearbeiterin all der 25 Millionen berühmten Worte, die in ihrem Namen veröffentlicht wurden. Die Notiz, die im Review vom 24. Juni 1858 erschien und von ihrem ersten ernsthaften Versuch berichtete, ein Buch zu schreiben, kündigte an, daß dies eine „Skizzierung ihrer Gesichte über den großen Kampf von Christus und seinen Engeln gegen den Teufel und seine Engel“ sein würde.31 Einige Wochen später wurde das Buch von „J. W.“ zum Verkauf angeboten, angekündigt als ein nicht von göttlichem Ursprung und Autorität stammendes Werk, sondern als ein Abriß der Ansichten, die Frau White hatte. Über den zweiten Band, der zwei Jahre später erschien, schrieb Ellen:

„Weil ich meine Zeugnisse in die Welt gesetzt habe und sie in einigen Büchern, die meine Visionen enthalten, in den östlichen, mittleren und westlichen Staaten der Vereinigten Staaten verbreitet und dadurch einige gute Bekanntschaften gemacht habe, sah ich es als meine Pflicht an, meinen Freunden und der ganzen Welt eine Skizze meiner christlichen Erfahrung, Visionen und Werke zu geben, und das in Verbindung mit der Verbreitung und dem Erfolg der Botschaft des dritten Engels.

Als ich die folgenden Seiten vorbereitete, habe ich unter großen Schwierigkeiten gearbeitet, da ich in vielen Punkten auf mein Erinnerungsvermögen angewiesen war, weil ich kein Tagebuch führte bis vor ein paar Jahren. Einige Male habe ich die Manuskripte an Freunde geschickt, die anwesend waren, als die Ereignisse eintraten. Bevor es zum Druck ging, sollten sie es durchsehen. Ich habe größte Sorgfalt walten lassen und Zeit darauf verwendet, einfache Fakten so genau als möglich darzulegen.

Ich bin jedoch durch die vielen Briefe, die ich an Bruder S. Howland und seine Familie in Topsham, Maine, geschrieben habe, sehr unterstützt worden. Da sie fünf Jahre lang meinen Henry in Obhut hatten, fühlte ich mich verpflichtet, ihnen sehr oft zu schreiben und ihnen meine Erfahrungen, meine Freuden, Versuchungen und Siege mitzuteilen. In vielen Fällen habe ich von diesen Briefen abgeschrieben.“ [Sperrung ergänzt]32

Das ist das Zeugnis einiger, die die Prophetin gut kannten. Sie sagten, was sie gesehen hatten, und in den meisten Fällen wurden sie, nachdem sie dies gesagt hatten, ausgestoßen.

Zeugen, die auf der langen Liste der Personen stehen, die sie gut kannten, wurden nicht lange belästigt oder unterdrückt, sondern abgewiesen und vertrieben — und das allein aufgrund ihres Wissens. Unter diesen waren Crosier, March, die Mitglieder der „Iowa-Bewegung“, die „Wisconsin-Fanatiker“, Dudley M. Canright, die Ballengers, Alonzo T. Jones, L. R. Conradi, George B. Thompson und Dutzende andere. Ihr Zeugnis wäre kraftvoll gegen Ellens „Visionen“ und „Inspiration“ gewesen. Aber es war ihnen nicht möglich zu reden, da sie die Gemeinschaft verließen oder aus ihr vertrieben wurden — und das wegen ihres Wissens und ihrer Bereitschaft, dieses Wissen an andere weiterzugeben. Sicher ist es wahr, wie ein Vereinigungsvorsteher 1980 in Glacier View feststellte, daß die meisten „glänzenden Lichter“ der Bewegung wegen der Streitfrage über die Autorität von Ellen White aus der Gemeinschaft getrieben wurden.33

Andere Zeugenaussagen können von William S. Peterson, Jonathan M. Butler, Ronald L. Numbers und anderen bekannten adventistischen Gelehrten der Neuzeit gesammelt werden, die mit Fleiß geforscht haben, um Wahrheit von Fantasterei trennen zu können. Ihre Stimmen sind fast immer durch die Hysterie derer zum Verstummen gebracht worden, die nichts sehen wollten — oder nicht wollten, daß andere etwas sehen. Die Funde von Don McAdams und Roy Graybill könnten zu einem Übergewicht der aufsteigenden Tatsachen über diejenigen führen, die „sehen“ — aber ihr Material und ihre Leistungen wurden durch das White Estate aus dem Verkehr gezogen, und zwar im Namen der Religion. Nur wenn religiöse Freiheit gewonnen und akademische Freiheit letztendlich in der Gemeinschaft ausgeübt werden können, dann erst werden die Glieder überzeugt sein, daß die Wahrheit für den Adventismus nicht für ewig geopfert wird und das Unrecht regieren muß.

Dies soll nicht heißen, daß alle Aufgeführten und auch andere glaubten, Ellen White wäre eine Schwindlerin, oder daß Ellen jedes Mal, wenn sie schrieb, bewußt versuchte zu betrügen. Aber es heißt, daß die menschliche Natur und die menschlichen Methoden ihrer Arbeit von Anfang an einer genauen Prüfung ausgesetzt waren, und daß ehrliche Menschen mit ehrlichen Fragen oftmals keine ehrlichen Antworten erhalten haben.

Diejenigen, die die Tatsache über Ellens nicht erwähnten Gebrauch der Werke anderer akzeptieren, erkennen bereits das daraus resultierende ethische Problem. Diejenigen jedoch, die Ellens nicht erwähnten Gebrauch der Werke anderer entschuldigen, haben interessante, anders lautende Erklärungen für dieses ethische Problem. Von jenen, die kein ethisches Problem sehen, das sie betreffen könnte, kam nur energische Ablehnung — als ob die „2,6 %“ (innerhalb eines limitierten Bereiches von Ellens Gesamtarbeit) aus Cotrells Untersuchung eine ausreichende Entschuldigung wären.

Ein Versuch muß gemacht werden, wenn möglich, jede Meinung und Verteidigung voneinander zu trennen und diese Verteidigung neben eine Art Maßstab für Moral und ethisches Verhalten zu legen, um erkennen zu können, wie Ellen und ihre Helfer sich einschätzen lassen.

  1. Es scheint, daß diejenigen, die behaupten, Ellen hätte nichts kopiert (oder, wenn sie es getan hätte, sei es nur minimal gewesen und könne keine Fragen aufwerfen), von Jack W. Provonsha, einem Ethikprofessor der Loma Linda Universität, in einer seiner schriftlichen Arbeiten angesprochen werden:

    Das Ergebnis über Ellen Whites angenommene literarische Abhängigkeit ist nun ziemlich gut auf unseren gemeinsamen Tisch gelegt worden. Die meisten informierten Adventisten haben jetzt wenigstens etwas Ahnung bekommen vom ausgedehnten Gebrauch von Zitaten, Parallelen und Absätzen sowie von generellen formalen Strukturähnlichkeiten ihrer Texte gegenüber Büchern, von denen bekannt ist, daß sie ihr und ihren Redaktionshelfern sehr wohl vertraut waren.

    Die wenigen, die davon wußten, waren scheinbar nicht bereit gewesen, diese Informationen mit der großen Masse der Gemeindeglieder zu teilen — wahrscheinlich aus Furcht, Ellen Whites Autorität in der Gemeinschaft könnte geschwächt werden. Dieses Widerstreben drückt sich weiterhin in dem Versuch aus, die Quantität der literarischen Abhängigkeit zu minimieren.

    Diese Bemühung ist verständlich — aber deplaziert. Sie könnte am Ende das Gegenteil bewirken. Wenn das Problem von Anfang an mit Aufrichtigkeit behandelt worden wäre, hätten wir vielen treuen Gemeindegliedern diese schmerzhafte Erfahrung ersparen können.34

    Aber es wird immer solche geben, die nichts sehen wollen und die versuchen, andere davon zu überzeugen, daß sie auch nichts sehen sollten. Zu dieser Gruppe passen die Worte eines arabischen Sprichwortes: „Der nichts weiß und nicht weiß, daß er nichts weiß, ist ein Narr. Meidet ihn!“

  2. Jene, die doch sehen, sich aber selber nicht zu der Überzeugung durchringen können, daß Gott Ellen erlauben würde, etwas Unmoralisches oder Falsches zu tun, rechtfertigen Ellens Handeln, indem sie sagen, andere hätten vor ihr bereits getan, was sie tat; deshalb müsse es akzeptabel sein. Vielleicht gibt Robert Brinsmead eine klare Antwort hierauf, die so mancher andere auch geben könnte:

    Es stimmt, daß bei verschiedenen biblischen Autoren Spuren einer literarischen Entleihung zu finden sind. Aber in diesen Fällen benutzten sie Material, das Erbe und gemeinsamer Besitz der Bundesgemeinschaft war. Es war kein Privatbesitz, und es gab keinen Schein von Originalität. Bei Mrs. White jedoch waren die Umstände ganz anders. Ohne Einverständnis verwendete sie das literarische Erzeugnis derer, die außerhalb ihrer eigenen religiösen Gemeinschaft standen, legte ihr Urheberrecht darauf und verlangte Lizenzgebühren für sich selbst und ihre Kinder. Recht und Unrecht werden teilweise durch historische Umstände bestimmt, aber wir müssen keine Vermutungen darüber anstellen, welcher Art die literarischen Anforderungen der Ethik zu Mrs. Whites Zeiten waren. Die Tatsachen sind eindeutig: Sie befand sich mit der allgemein akzeptierten literarischen Praxis nicht in Einklang.35

    Für diese Gruppe würde das Sprichwort wohl heißen: „Derjenige, der es weiß und nicht weiß, daß er etwas weiß, der schläft. Wecke ihn auf!“

  3. Einige behaupten, Sitten würden durch die Umwelt festgelegt werden und daß die „Situationsethik“ Ellens Verhalten bestimmte und deshalb ihr Verhalten entschuldbar sei. Für diejenigen, die solche Gründe anführen, sollte hervorgehoben werden, daß mit dieser Denkart alles erlaubt ist. Wenn zu einer bestimmten Zeit eine gewisse Stellung für richtig gehalten wird, dann verhält man sich so, wie es die Allgemeinheit tut und als „normal“ ansieht. Extrem ausgedrückt kann man daraus folgern: Wenn andere auf dem Weg zur Hölle sind, laßt uns sie dorthin begleiten. Solche Menschen müßten es besser wissen, als zu behaupten, daß das Kopieren von anderen Autoren ohne deren Einverständnis zu Ellens Zeit akzeptable Gewohnheit war. Dieses Argument ist einfach nicht richtig. In einem sehr großen Teil der Werke, aus denen Ellen abschrieb, hatten die Autoren ihre Quellen angemerkt; einige taten dies sehr sorgfältig und gerne. Aber Ellen tat dies nie. Die Fakten, die ans Licht kommen, enthüllen uns, daß sie dies nicht tun konnte. Wenn die Gemeinde oder Ellen und ihre Helfer ehrlich enthüllt hätten, von wem und wieviel sie von anderen übernahmen, dann wäre Gott als ihre angebliche Autorität als sehr gering oder sogar nicht existent enthüllt worden.

    Zu den heutigen Anhängern dieser fehlgeleiteten Situationsethik könnte das Sprichwort sagen: „Derjenige, der es nicht weiß und weiß, daß er es nicht weiß, ist ein Einfaltspinsel. Belehrt ihn!“

  4. Es gibt solche, die akzeptieren, was sie sehen, und empfinden — ob es ihnen paßt oder nicht — daß dies anerkannt werden sollte. Aber sie bringen vor, daß Ellens Verhalten nicht in Frage gestellt wird, insofern Gott verschiedene Maßstäbe für Propheten schuf. Dies ist auch die Einstellung, zu der Provonsha neigt. Ein Kritiker von Provonshas Ansicht schrieb ihm deshalb:

    Die obige Beobachtung führt mich zu der im Entwurf angedeuteten Hauptthese. Ich biete Ihnen eine neue Fassung dieser These an, und Ihre positive Haltung dazu erlaubt eine Neufassung, die für den Kritiker an der von dem Glendale-Komitee herausgegebenen Akte akzeptabel sein könnte. Diesen Kritiker zitieren Sie auf den Seiten 5 und 6 Ihres Entwurfs. So wie er könnten viele Leser von Ihrer Arbeit behaupten, daß sie den Standpunkt einnimmt, Propheten (und andere inspirierte Autoren) würden sich so sehr von uns allen unterscheiden, daß sie nicht an traditionelle Vorstellungen über Ehrlichkeit gebunden seien. Deshalb sind sie nicht unehrlich, wenn sie ohne Quellenangaben abschreiben, und wenn sie ihre Abhängigkeit von anderen Autoren sogar leugnen. Obwohl gewöhnliche Leute als Lügner und Betrüger bezeichnet würden, wenn sie diese fraglichen Handlungen begingen, sind diese Propheten im Recht, weil sie eine andere Position einnehmen!36

    Es ist unwahrscheinlich, daß jedermann Provonsha in seine Welt der sittlichen Philosophie folgen und seine Patentlösung dieses Problems akzeptieren kann. Vielleicht verfügte Provonsha auch nicht über alle Tatsachen und Verzweigungen, die das Bild eines siebzig Jahre dauernden Betrugs vervollständigen würden. Sein Dokument beschäftigt sich nicht mit dem Verhalten derer, die Ellen ihr ganzes Leben lang bei ihrer „white lie“ halfen.

  5. Im Verstand zahlloser Personen, die individuelle Kämpfe haben, gibt es auch noch andere Nuancierungen der Bedeutung des ethischen Problems, wenn sie fortlaufend neuer Fakten gewahr werden. Ein Aspekt, der vielleicht ernsthafter Überlegung bedarf, ist ein Ausdruck, der in der Rechtswissenschaft mit „verminderte Zurechnungsfähigkeit“ bezeichnet wird.

    Ellens Verletzung in ihrer Kindheit und die resultierenden physischen Probleme sind wohlbekannt und bestens dokumentiert. Von der Zeit des Unfalls an, in ihrer Jugendzeit und ihren mittleren Jahren, war sie physischen Attacken unterworfen, die oft ein Phänomen begleiteten, das ihre Anhänger als „offene Visionen“ bezeichneten. Manchmal wird uns gesagt, daß sie bewußtlos war, obgleich sie manchmal noch die Kontrolle über ihre Bewegungen behielt. Es wird oftmals durch die Gemeinschaft hervorgehoben, daß sie ihr Amt mit einem schwachen, untrainierten Verstand und einem ausgezehrten, geschwächten Körper begann – die „Schwächste der Schwachen“. Mindestens fünfmal ist festgehalten worden, daß sie durch eine Lähmung getroffen wurde und daß sie ebenso oft sich dem Tode nahe fühlte; oftmals war sie längere Zeit ohne Bewußtsein.37 Unter diesen physischen Bedingungen, besonders während ihrer jungen Jahre, war ihr Geist im selben Zustand wie ihr Körper – zeitweise im Treibsand der Verzweiflung und zeitweise auf dem Berggipfel der Herrlichkeit.

    Dieser geistige und körperliche Zustand wurde schon sehr früh in Ellens Leben festgehalten. Eine bemerkenswerte Aussage wurde in einem Bericht niedergelegt, der sich auf ihren Zustand und ihr eigenes Erkennen desselben bezieht, und zwar stammt dieser schon aus dem Jahre 1865. 1877 wurde er veröffentlicht. Wegen der empfindlichen Natur der Information ist es am besten, einige Abschnitte aus den Seiten abzudrucken, die sich darauf beziehen.

    Als sie 1865 einen Bericht in der Konferenz von Pilot Grove über ihren Besuch im Dr. Jacksons Gesundheits-Institut abgab, legte sie dar, daß der Arzt, auf Grund einer medizinischen Untersuchung, sie als eine von der Hysterie befallene Person erklärte. Jenen, die Vertrauen in Dr. Jacksons ärztliches Können haben, gibt diese Erklärung einen Anhaltspunkt über ihre vermeintlich göttlichen Eingebungen. Übereinstimmend mit medizinischen Kapazitäten ist die Hysterie eine echte Krankheit, aber von sehr eigentümlicher Art, weil sie nicht nur den Körper, sondern auch den Verstand in Mitleidenschaft zieht. Sie ruft Phänomene sehr bezeichnenden und doch sehr mannigfaltigen Charakters hervor, und die Krankheit wirkt sich auf Personen und Temperamente verschieden aus, wobei sehr unterschiedliche Ergebnisse erzeugt werden.

    Als dann Dr. Wm. Russell vom Battle Creek Gesundheits-Institut uns schrieb, um seine Zweifel an der göttlichen Inspiration der Visionen auszudrücken und uns nach Beweisen über dieses Thema bat, erfüllten wir freudig seine Bitte und sandten ihm Veröffentlichungen und auch eine kurze Übersicht der Arbeiten, die wir der Öffentlichkeit anbieten. Wir haben sein Augenmerk auch auf Dr. Jacksons medizinische Ansicht über Mrs. Whites Fall gelenkt und ihn auch wegen einer Publikation seiner Ansichten in Buchform angesprochen. Darauf hat er am 12. Juli 1869 geantwortet, daß er irgendwann in der Vergangenheit feststellte, „daß Mrs. Whites Visionen das Resultat einer krankhaften Verfassung ihres Gehirns oder ihres Nervensystems waren“. Hier haben wir nun die Aussagen von zwei Medizinern, deren Geschick als Ärzte Mrs. White und die Siebenten-Tags-Adventisten im allgemeinen stark vertrauen und die in ihren Ansichten über die Neigung Mrs. Whites zu einem krankhaften Zustand des Gehirns und Nervensystems übereinstimmen.

    In Berücksichtigung dieser Aussagen laßt uns zu ihrer ersten Vision zurückgehen und sehen, ob wir nicht durch die begleitenden Umstände eine vernünftige Lösung des Phänomens in diesem Fall erlangen können. Gemäß ihren veröffentlichten Werken traf Frau White im Alter von neun Jahren ein sehr ernsthaftes Schicksal, als ihre Nase durch den Schlag eines Steines zerschmettert wurde, was eine dauerhafte Verunstaltung ihres Gesichts zur Folge hatte. Ob dieser Unfall nun die Ursache ihrer Neigung zur Hysterie war, wissen wir natürlich nicht, aber eines ist sicher: Wenn er sie nicht verursachte, dann verschlimmerte der Unfall auf alle Fälle ihren Zustand. Wie Dr. Russell es auch beschreibt, als „eine krankhafte Verfassung des Gehirns und Nervensystems“. Dies wird durch die Tatsache untermauert, daß sie sich noch drei Wochen nach ihrem Unfall in totaler Bewußtlosigkeit befand, wobei das Gehirn so sehr verletzt wurde, daß jegliche Funktion während dieser Zeit eingestellt war.

    Bruder White äußert sich auch in Life Incidents, Seite 273, über ihren Gesundheitszustand zum Zeitpunkt ihrer ersten Vision: „Als sie ihre erste Vision hatte, war sie ein abgezehrter Invalide, von ihren Freunden und Ärzten zum Tode durch Auszehrung verurteilt. Damals wog sie ungefähr 80 Pfund. Ihr Nervensystem war derart, daß sie nicht schreiben konnte, und sie war abhängig von jemandem, der nahe am Tisch bei ihr saß, um ihr nur etwas aus dem Krug in das Glas zu schütten und ihr zum Trinken zu geben.“

    Kurz nach ihrer Genesung scheint sie ihre Aufmerksamkeit auf religiöse Themen gelenkt zu haben, durch die sie tief beeindruckt wurde, bis zu ihrer Bekehrung im Alter von zwölf Jahren, als sie sich der Methodistenkirche anschloß. Ihre religiöse Erfahrung in diesen jungen Jahren war von ganz eigentümlicher Art; zeitweise war sie bis zur wahren Ekstase entzückt, andererseits aber auch bis zur Verzweiflung niedergedrückt. Diese unglücklichen Zustände ihres Verstandes scheinen nicht durch äußere Umstände – die ja alle vorteilhaft waren für ihre religiöse Entwicklung – sondern durch angenehme oder unangenehme Träume und Eindrücke verursacht worden zu sein.

    Ungefähr zu dieser Zeit wurde die Adventbotschaft in Portland, Maine, gepredigt, wo die Familie ihres Vaters wohnte, die sich dafür interessierte, Ellen eingeschlossen. Ihr Interesse war so stark, daß sie 1842 regelmäßig die adventistischen Versammlungen besuchte, obgleich sie noch Methodistin war. Das Ergebnis der Enttäuschung von 1844 war eine Spaltung der Adventgläubigen in zwei Lager. Ein Teil fiel zurück zu der Haltung, daß die Wiederkunft des Herrn nahe war, aber die Bewegungen von 1843 und -44 sich geirrt hatten, wobei die anderen behaupteten, der Herr habe sie so weit geführt und die Vergangenheit würde noch völlig gerechtfertigt werden; die letzte Gruppe verrannte sich schließlich in den Irrtum der „geschlossenen Tür“. Sie behaupteten, daß der Bräutigam schon gekommen sei und daß die Zeit für die Erlösung der Sünder, Namenschristen und abtrünnigen Adventisten vorüber sei. In Bruder Whites Life Incidents auf den Seiten 183–191 gibt er einen interessanten Bericht über die geschichtliche Seite der Vorstellung über die „geschlossene Tür“. Mrs. White (hier noch Ellen G. Harmon) identifizierte sich mit der letztgenannten Gruppe, die ihre Versammlungen im Hause ihres Vaters abhielt. Dabei zeigte sich, daß sie ständig unter dem Einfluß dieser schrecklichen Wahnvorstellungen stand, unter einer Kraft, die keiner wahrhaft würdigt, außer er erlebt sie als Zeuge oder er nimmt daran teil. Unter diesen Umständen – der krankhaften Verfassung ihres Gehirns und Nervensystems, dazu noch der Neigung zur Hysterie – ist es kein Wunder, daß sie das hatte, was man Visionen nennt. Und gerade hierin erwartete man, daß ihre Visionen in den Hauptpunkten den religiösen Ansichten, die sie in Betracht zog, entsprechen würden, wie wir bereits in dieser Studie klar gezeigt haben.

    Zu diesem Punkt bringt Bruder White eine andere Aussage in Life Incidents, Seite 272 (1868 veröffentlicht), wo er schreibt: „Während der letzten 23 Jahre hatte sie wahrscheinlich an die ein- bis zweihundert Visionen. Diese wurden ihr unter fast allen möglichen Umständen gegeben, aber sie behielten eine wundervolle Ähnlichkeit bei; die offensichtlichste Änderung ergab sich in den späten Jahren, als die Zahl der Visionen stark zurückging und ihr Inhalt umfassender wurde.“ Dies ist alles sehr natürlich und vernünftig unter diesen Umständen. Als sich Mrs. Whites Gesundheitszustand wieder besserte, hatte sie immer weniger Visionen. Da der Verstand und sein Wirken ein Teil eines funktionierenden Körpers sind, erreicht daher eine gesündere physische Verfassung auch einen besseren und gesünderen Zustand des Verstandes. Als Mrs. Whites Gesundheitszustand sich wieder besserte, normalisierte sich die Funktion ihres Gehirns und ihres Nervensystems immer mehr, und die Anzahl ihrer Trancezustände verringerte sich deswegen. In bezug auf ihre Allgemeinbildung machte sie Fortschritte (ihre frühe Schulbildung war fast völlig vernachlässigt worden wegen ihrer schwachen Gesundheit), deswegen waren ihre Visionen auch umfassender – eine sehr natürliche Konsequenz – was auch einer der besten Beweise ist, daß ihre Visionen nur eine Auswirkung ihres Verstandes waren.

    Daß die Phänomene von Mrs. Whites Visionen, d.h. die Bewegungslosigkeit und die überraschenden Kräfte, das Ergebnis eines gestörten physischen und geistigen Zustandes waren, zeigt der Auszug von Dr. George B. Wood (Practice of Medicine) auf Seite 721 des zweiten Bandes. Dies ist mir zur Kenntnis gelangt, gibt manche Bestätigung und handelt von einigen Erfahrungen, die Mrs. White in den Visionen hatte, besonders wie sie die schwere Bibel in ihrer Hand hielt, sie über den Kopf hob, auf Textabschnitte hinwies und sie wiederholte. Über die Behandlung von geistigen Störungen und die Klärung der Ursache und des Phänomens der Trance sagt er:

    „Ekstase ist eine Erkrankung, bei der es unter Verlust der Wahrnehmung der Umwelt und einer Unempfindlichkeit für Eindrücke von außen zu einer offensichtlichen Verzückung der geistigen und emotionalen Funktionen kommt, als wenn das Individuum in eine andere Natur oder eine andere Sphäre des Daseins umgewandelt wird. Der Patient scheint in eine fesselnde Idee verrannt zu sein oder hat einen Gesichtsausdruck ausdrucksvollen Nachdenkens oder unaussprechlicher Freude; willkürliche Bewegungen sind gewöhnlich außer Kraft gesetzt; der Patient liegt entweder bewußtlos da, oder, wie im Zustand der Katalepsie, verbleibt er in der Körperhaltung, in der er davon getroffen wird. Manchmal jedoch gehorchen die Muskeln dem Willen, und der Patient spricht oder handelt durch die vorhandenen Impulse. In diesen Fällen liegt die Krankheit an der Grenze des Schlafwandelns. Der Puls und die Atmung können normal sein oder mehr oder weniger flach; das Gesicht ist gewöhnlich blaß, und die Oberfläche des Körpers ist kühl. Wenn die Pulsfrequenz erhöht ist, ist der Puls gewöhnlich auch schwach zu fühlen. Die Dauer einer solchen Attacke ist sehr ungewiß; in manchen Fällen dauert sie nicht länger als ein paar Minuten, manchmal auch Stunden oder Tage. Nach der Gesundung erinnert sich der Patient im allgemeinen an seine Gedanken und Gefühle mehr oder weniger genau, und manchmal erzählt er von wunderbaren Visionen, die er gesehen hat, von Besuchen geheiligter Regionen, von hinreißender Harmonie und Pracht, von unaussprechlicher Freude der Sinne oder Zuneigung.“38

Diese überraschenden Seiten offenbaren einige ernüchternde Tatsachen, deren Richtigkeit man nachprüfen kann:

  1. Ellen Whites geistiger und physischer Zustand wurde so genau beschrieben, daß sie diese Beschreibungen überwiegend bestätigen.
  2. Die Analyse ihrer Zustände wurde von qualifizierten Medizinern gezogen, die in einigen Fällen für die Whites akzeptabel waren.
  3. Die Beobachtungen wurden bereits sehr früh in ihrem Leben von Personen gemacht, die ihren Lebensstil kannten und Augenzeugen waren.
  4. In Bezug auf die Geschichte der „geschlossenen Tür“, die über hundert Jahre lang verborgen gehalten wurde (wie offenbart und nun auch vom White Estate bestätigt), glaubte Ellen White in der Tat, lehrte sie und hatte sogar eine Vision darüber, daß die Tür nach 1844 für Sünder verschlossen war.

Interessant ist vielleicht die Tatsache, daß andere, auch einige Ärzte, die Ähnlichkeit ihrer Zustände während ihrer „Visionen“ bemerkten und deren Umstände als vergleichbar ansahen. William S. Sadler, Freund der Familie White, einst ein treuer Gläubiger und Ältester in der Gemeinde, später ein Arzt, schrieb 1923:

Es ist nicht ungewöhnlich für Personen in kataleptischer Trance, sich einzubilden, sie würden Reisen in andere Welten unternehmen. Die wundervollen Berichte ihrer Erfahrungen, die sie nach ihren epileptischen Anfällen niederschreiben, sind tatsächlich so ungewöhnlich und wunderbar, daß sie vielfach die Basis für die Gründung neuer Sekten, Kulte und Religionen sind. Viele fremdartige und ungewöhnliche religiöse Bewegungen sind so gegründet und aufgebaut worden. Es ist eine interessante Feststellung der Psychologie, daß diese Trancemedien immer Visionen haben, die im Einklang mit ihren theologischen Glaubenssätzen stehen. Zum Beispiel wurde ein Medium, das an die Unsterblichkeit der Seele glaubte, immer von irgendeinem ihrer toten Freunde auf den himmlischen Reisen herumgeführt. Eines Tages änderte sie ihre religiösen Ansichten und glaubte an den schlafähnlichen Zustand der Toten. Danach ist sie auf ihren zahllosen himmlischen Reisen durch Engel von Welt zu Welt geleitet worden, als sie in Trance war. Keiner ihrer toten Freunde ist nach ihrem Wandel der Anschauung jemals wieder in irgendeiner der Visionen erschienen.39

Die Aufzeichnungen von Ellens Visionen über andere Welten in Early Writings können geprüft werden, um zu sehen, ob die von Sadler niedergeschriebenen Informationen sie betreffen. Er fährt fort mit anderen interessanten Beobachtungen:

Nahezu alle Opfer der Trance und nervlich bedingten Katalepsie kommen früher oder später zu dem Punkt, an dem sie sich selber für Boten Gottes oder Propheten des Himmels halten; und ohne Zweifel sind die meisten von ihnen von ihrem Glauben überzeugt. Obgleich sie die Physiologie und Psychologie ihres Leidens selbst nicht verstehen, sehen sie die besonderen geistigen Erfahrungen als etwas Übernatürliches an, während ihre Anhänger ihnen blindlings folgen und alles glauben, was sie lehren, wegen des vermeintlich göttlichen Charakters dieser sogenannten Offenbarungen.40

Sadler untermauert ferner das, was die Ärzte der 1860er und 70er Jahre herausgefunden hatten:

Ein anderes höchst interessantes Phänomen, das ich in Verbindung mit Trancemedien bemerkte, die in der Mehrzahl der Fälle Frauen sind, ist, wie schon vorhin erwähnt, daß diese Trance oder dieses kataleptische Phänomen in mancher Hinsicht Anfällen von Hysterie gleicht, nur weitgehender ausgeprägt. Ich will damit sagen, daß dies erfahrungsgemäß in Erscheinung tritt nach Beginn der Jugendzeit, und daß in keinem Fall, den ich beobachtet habe oder von dem ich gehört habe, dieses Phänomen den Beginn der Menopause je überlebt hätte. Der Charakter dieser Phänomene, die mit diesen weiblichen Propheten oder Trancemedien verbunden sind, ist immer auf ein Auftauchen einer Änderung im Leben beschränkt.41

Wieder ist es interessant zu bemerken, daß das, was die Ärzte feststellten, auch in Ellens Fall passierte. Zu Beginn des Lebensabschnittes, in dem die Menopause auftritt, hörten ihre „offenen Visionen“ auf.42 Es ist ebenso interessant, daß das Aufhören ihrer Visionen mit dem Tode von James White, ihrem Ehemann, zusammenfällt.

Ein späterer Schreiber greift das physische Thema in seiner Doktorarbeit auf, die er 1932 schrieb:

Es gibt nicht den kleinsten Anhaltspunkt, daß sie zu irgendeiner Zeit in diesem Zustand irgendetwas in Erfahrung brachte, was nicht bereits durch ihre Partner bestens bekannt gemacht worden wäre. Während der Schreiber nicht so weit geht zu sagen, daß sie durch ihren Ehemann „hypnotisiert“ worden wäre, ist er jedoch völlig überzeugt, daß der Inhalt ihrer frühen „Visionen“ fast ausschließlich von Problemen bestimmt war, an denen er (James White) interessiert war und denen er seine Zeit gewidmet hatte, als ihre Offenbarungen kamen. Später, nach seinem Tode, galt ihre huldvolle Zustimmung der Sache, die irgendein Leiter oder Gemeindebeamter gerade vertrat; diese Leute versuchten mit allen Mitteln, ihre Zustimmung zu ihren Unternehmungen zu gewinnen.

Als Bruder White alles für die Schaffung einer Organisation einsetzte, „sah seine Frau, daß dies Gottes Plan sei; als er Zweifel an der Arbeit einer Druckerei-Anlage hegte, wurde ihr gezeigt, daß dies Gott nicht genehm war. Als er durch seine Feder und seine Stimme auf ‚systematische Wohltätigkeit‘ drängte (d.h. regelmäßige Geldspenden an die Gemeinschaft), hatte sie eine ‚Vision‘, die dies unterstützte. Zu der Zeit, da er mit dem Schreiben von Flugblättern über die Gesundheit beschäftigt war, wurde ihr die ‚große Vision‘ über die Gesundheitsreform gezeigt. Diese Liste könnte bis zu ihrem Tode weitergeführt werden, da an die Stelle ihres Mannes später von ihr bevorzugte Führungspersönlichkeiten traten.“43

Linder prüfte 1978 die Beobachtungen und Theorien der Psychologen und Psychiater aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nach, um einen Anhaltspunkt der verursachenden Faktoren von visionären Phänomenen zu suchen. Beide Faktoren, psychologische und physische, wurden als wichtig angesehen, um berücksichtigt zu werden.44 Vielleicht könnten die entscheidenden und die meisten zufriedenstellenden Antworten dann gegeben werden, wenn das White Estate die Details von Ellen Whites medizinischer Entwicklung vom Anfang bis zum Ende freigeben würde.

Ein anderer Autor hat einen anderen Grund entdeckt für das Problem um Ellens Kopieren ohne Einverständnis, und auch für ihren Glauben in ihre eigene „visionäre Originalität“. M. Ronald Deutsch (The Nuts Among the Berries) bezieht sich in seinem Kapitel „The Battles of Battle Creek“ auf Charles E. Stewart. Er schrieb Mrs. White eine Antwort auf ihre öffentliche Aussage, daß sie „durch den Herrn angewiesen wurde“, jene, die „hinsichtlich ihrer Zeugnisse... verirrt seien“, dazu einzuladen, ihre „Proteste und Kritiken“ auf Papier zu bringen, und sie würde diese dann beantworten. Freunde von Stewart veröffentlichten seinen langen Brief im Oktober 1907 als Broschüre (die auch Kopien von weiterer Korrespondenz von anderen und an sie enthielt), nachdem fünf Monate ohne eine Reaktion von Ellen verstrichen waren. Das Vorwort der Broschüre enthielt die Feststellung, daß Stewart eine ordnungsgemäß unterschriebene Empfangsbescheinigung seines Briefes erhalten hätte, aber keine Antwort darauf. Deutsch zitiert die folgende Meinung aus seinem Buch:

Ich glaube, daß sie ein Opfer von Selbsthypnose ist. Sie hat sich selbst eingesuggeriert, daß diese Visionen echt seien. Ich glaube nicht, daß sie bewußt betrügen wollte – sie ist eben in diese visionäre Gewohnheit hineingekommen – aber ich verurteile diejenigen, die anderen Personen einen Plan andrehen, der nicht mehr und nicht weniger als ein grober Schwindel ist.45

Das Jahr 1907 liegt lange zurück. Die Sache mit Ellens Gesundheitsproblemen und den Sorgen ihrer Ärzte zu ihrer Zeit wären vielleicht schon vergessen worden, wenn nicht von Zeit zu Zeit Fragen darüber aufgekommen wären. Am 23. Mai 1981 erschien ein Artikel im Toronto Star:

Ein Stein, der die Stirn der Gründerin der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Ellen Gould White, traf, als sie 9 Jahre alt war, ist sehr wahrscheinlich die Ursache ihrer Visionen, die die Basis der Gemeinschaftslehre darstellen, wie zwei Ärzte erklärten.

Der Schlag verursachte eine Form der Katalepsie, wie Dr. Delbert Hodder und Dr. Gregory Holmes aus Connecticut in einem Interview sagten. Sie waren kürzlich in Toronto, um ihre Ergebnisse auf einem Kongreß der Amerikanischen Akademie für Neurologie im Sheraton Center mitzuteilen.

Hodder, ein Adventist, sagte, daß der von ihm und Holmes (der kein Adventist ist) verfaßte Bericht den Riß in der Gemeinde heilen könnte.

„Sie haben die Sache aus theologischer Sicht gesehen“, sagte er, aber seine Forschung zeige, daß „sie medizinisch erklärbar ist.“46

Für viele könnte das medizinische Argument der beste Weg sein, die ethische Frage zu klären, die durch Ellens Betrug aufgeworfen wurde. Dennoch würde dies diejenigen noch nicht rechtfertigen, die, obgleich sie Ellens Zustand kannten (und deshalb auch ihre Schwachheit), ihr weiterhin halfen, die „white lie“ weiter auszubauen. Außerdem würde es ein gewisses Maß von Sympathie für Ellens Handlungen erzeugen – alleine auf der Basis einer verminderten Zurechnungsfähigkeit. Ebenso würde es dazu beitragen, die vielen Widersprüche in ihren „Visionen“ zu erklären, die von der Gemeinschaft all die Jahre hindurch behandelt, entschuldigt oder gedeckt werden mußten.

Es ist möglich, daß die letzte Zeile des arabischen Sprichworts bei dieser Sichtweise des ethischen Problems wie folgt lauten sollte: „Derjenige, der es weiß, und weiß, daß er es weiß, ist klug. Folgt ihm nach!“

Anmerkungen

  1. Siehe Winslow, Guy Herbert: "Ellen Gould White and Seventh-day Adventism", Dissertation (Worcester, MA: Clark University, 1932). Außerdem Teesdale, W. Homer: "Ellen G. White: Pioneer, Prophet", Dissertation, University of California, 1933.
  2. Robert W. Olson, Brief an Daniel C. Granrud, 4. September 1980.
  3. Olson, Robert W.: "Ellen White and Her Sources", Tonbänder des Adventist Forum mit einer Fragestunde in der Kirche der Loma Linda Universität, Januar 1979.
  4. Robert W. Olson, Brief an Daniel C. Granrud, 2. Oktober 1980.
  5. Olson an E. G. White Estate, 29. November 1978.
  6. Siehe Anhang: Textvergleiche im allgemeinen.
  7. Butler, Jonathan M.: "The World of E. G. White and the End of the World", Spectrum 10 (1979), Nr. 2, S. 2–13. Ebenso Donald R. McAdams, Vortrag über E. G. Whites Quellenmaterial auf dem Treffen des Glendale Komitees, 28.–29. Januar 1980.
  8. W. C. White, zitiert bei Robert W. Olson und Ronald D. Graybill, Tonbänder eines Seminars am Southern Missionary College, Herbst 1980.
  9. W. C. White an das Generalkonferenz-Komitee, 3. Oktober 1921.
  10. [Kellogg, John Harvey]: "An Authentic Interview... on October 7th, 1907".
  11. Die Andeutung in meinem Buch ist, daß einige – wenn überhaupt welche – der gegenüber der Entstehung von Ellen G. Whites Büchern Aufgeschlossenen die Idee der verbalen Inspiration vertraten.
  12. Siehe die Liste der „Zeugenaussagen“, die in diesem Kapitel folgt.
  13. Linden, Winslow, Teesdale und andere verdeutlichen, daß über die Jahre hinweg eine Entwicklung der Wirkung und Kraft hinsichtlich „Inspiration“ und „Autorität“ in Ellen G. Whites Schrifttum stattfand.
  14. Keiner diskutiert ernsthaft, daß Ellen nicht gewußt habe, was sie tat oder was getan wurde. In der Tat wäre das Problem noch weitaus ernster, wenn sie es nicht gewußt hätte. Dieses Kapitel beschäftigt sich damit, wie verschiedene Leute zu unterschiedlichen Zeiten das Problem zu lösen versuchten.
  15. Robert W. Olson, Brief an Daniel C. Granrud, 2. Oktober 1980.
  16. Arthur L. White, „Ergänzung“ von 1969 am Ende der Faksimilereproduktion von E. G. Whites The Spirit of Prophecy, Bd. 4, S. 535.
  17. Uriah Smith an Dudley M. Canright, 22. März 1883.
  18. Ellen G. White Estate: "A Statement Regarding the Experiences of Fannie Bolton in Relation to Her Work for Mrs. Ellen G. White", Dokumentenakte (Document File) 445. Diese Nachricht enthält den „Bericht des Ältesten Starr“ über seine Konversation mit Ellen White betreffs Fannie Bolton.
  19. Fannie Bolton an „Liebe Brüder der Wahrheit“, Entwurf aus der Dokumentenakte 445 des E. G. White Estate.
  20. Kellogg, Merritt G.: handgeschriebene Erklärung, ca. 1908.
  21. [Kellogg, John Harvey]: "An Authentic Interview...", S. 23–39. Aussagen stenographisch aufgezeichnet.
  22. George B. Starr in „A Statement Regarding Fannie Bolton“, E. G. White Estate DF 445.
  23. [Kellogg, John Harvey]: "An Authentic Interview...", S. 33–36. George Amadon, Aussage stenographisch aufgezeichnet.
  24. The Bible Conference of 1919, Spectrum 10 (1979), Nr. 1.
  25. Ebd., S. 592.
  26. William Warren Prescott an W. C. White, 6. April 1915.
  27. Willard Allen Colcord, Brief vom 23. Februar 1912. Siehe Kapitel 9 und 13.
  28. Camden Lacey an Leroy E. Froom, 11. August 1945. Camden Lacey an Arthur W. Spalding, 5. Juni 1947.
  29. Pastoral Union: „Is Mrs. E. G. White a Plagiarist?“ (Healdsburg Enterprise, 29. März 1889).
  30. White, James: „The Gifts of the Gospel Church“, Review, 21. April 1851; Nachdruck in Review, 4. Juni 1853, S. 13–14. Zitiert von Amundson, Earl W.: „Authority and Conflict“, vorgetragen auf der theologischen Konsultation in Glacier View, 15.–20. August 1980.
  31. [Redaktionelle Anmerkung]: Review 12, 24. Juni 1858, S. 48.
  32. White, Ellen G.: Spiritual Gifts, 4 Bde. (Battle Creek: SDA Publishing Association, 1858–1864), Bd. 2, Einleitung.
  33. Amundson, Earl W.: „Authority and Conflict – Consensus and Unity“, siehe Kapitel 8, S. 15.
  34. Provonsha, Jack W.: „Was Ellen White a Fraud?“, Loma Linda Universität, 1980, S. 1.
  35. Brinsmead, Robert D.: Judged by the Gospel (Fallbrook, CA: Verdict Publications, 1980), S. 172.
  36. J. Jerry Wiley an Jack W. Provonsha, 22. Mai 1980.
  37. Carver, Henry E.: Mrs. E. G. White’s Claims to Divine Inspiration Examined, 2. Aufl. (Marion, Iowa: Advent and Sabbath Advocate Press, 1877).
  38. Ebd., S. 75–80.
  39. Sadler, William S.: The Truth About Spiritualism (Chicago: A. C. McClurg & Co., 1923), S. 157–158.
  40. Ebd.
  41. Ebd., S. 159.
  42. Gemäß der SDA Encyclopedia (Stichwort „Visionen“), hatte White ihre letzte „offene Vision“ im Juni 1884. Linden sagt in The Last Trump, daß James White betonte: „Ihre Muskeln wurden unbeweglich, ihre Gelenke starr“ und ihre Sehkraft benötigte einige Zeit, um sich wieder an den Normalzustand anzupassen.
  43. Winslow, Guy Herbert: "Ellen Gould White and the Seventh-day Adventism", Dissertation (Worcester, MA: Clark University, 1932), S. 290.
  44. Linden, Ingemar: The Last Trump (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 1978), S. 159–163.
  45. Deutsch, M. Ronald: The New Nuts Among the Berries (Palo Alto, CA: Bulk Publishing Co., 1977), S. 80.
  46. Dunlop, Marilyn: „Were Adventist Founder’s Visions Caused by Injury?“, Toronto Star, 23. Mai 1981.