Der Erfolg und das Genie jeder religiösen Bewegung besteht darin, den Mitgliedern das zu sagen, was sie hören wollen, mit der Garantie, daß sie das nicht hören, was du sie nicht hören lassen willst. Niemand hat auf diesem Gebiet solche Gelegenheiten wie die Presse. Gutenberg hatte nicht die geringste Vorstellung darüber, welche Türen sich öffneten, als er die Druckerpresse erfand. Seit dem dunklen Mittelalter, seitdem die Wahrheit an die Wände der Bibliothek gekettet wurde, damit niemand sie aus dem Gewölbe herausnehmen konnte (auch nicht mit einer Bibliothekskarte) mußte die Menschheit das empfangen und akzeptieren, was die Kirchenväter sagten. Natürlich war diese Situation etwas besser als die Zeit, in der die Väter dem Wissen durch Gewehr und Axtgriff Nachdruck verliehen. Aber es war immer noch eine Art von Kontrolle.
Die Kunst des Druckes sollte sich in eine Richtung entwickeln, die zum Ziel haben würde, nicht den Körper mit Waffen, sondern den Geist mit Gedrucktem zu kontrollieren. Freidenker sind immer schon in Schwierigkeiten geraten. Wenn zur Zeit Moses irgendjemand sein eigenes Feuer entfachte, um eine Tasse heißen Kräutertees am Sabbat zu genießen, wurde er gesteinigt, und das nicht im heutigen Sinne des Wortes. Wenn er in den Tagen Nehemias am Sabbat auf dem örtlichen Tauschmarkt herumgeschlendert wäre, hätte er Gefahr laufen können, an seinem Bart gezogen zu werden. Selbst zur Zeit des Neuen Testaments, als Ananias ein paar Sekel vom Zehnten zurückbehielt, um die Miete zu zahlen, wurde ihm von örtlichen Gottesgelehrten befohlen, tot umzufallen – was er auch tat.1
So paßte die Druckkunst ins Bild. Die Presse war in ihrer Methode viel besser; kein Durcheinander war aufzuräumen, kein Leichnam zu begraben. Man befolgte nur die doppelte Regel: Erzähle den Leuten das, was du sie hören lassen willst; lasse sie das nicht hören, was du sie nicht hören lassen willst. Die erste Regel ist nicht zu schwierig, aber die zweite sieht immer noch nach Kontrolle aus. Wenn Menschen nicht lesen können, kann man sie nicht durch Lektüre erreichen. Wenn sie lesen können, könnten sie durch falschen Lesestoff erreicht werden. Kirchen lösen dieses Problem, indem sie es auf Gott übertragen. Dies ist auch eine altbekannte Idee. Gott wurden oft Dinge zugeschrieben, die er nicht getan hatte; und seit dem Beginn der Zeit wurde Satan von den Dingen, die er tat, entlastet. (Lies über Adam und die Frucht in der Schöpfungsgeschichte nach).
Die Adventisten waren nicht die ersten, die Literatur zusammenstellten, aber sie waren erfolgreicher als einige andere. Der Abnehmerkreis, mit dem sie begannen, war klein und verstreut, aber mit der Hilfe Ellens sollte er wachsen und sich festigen. James White war Lehrer in verschiedenen Fächern und kannte die Macht der Presse – insbesondere die Macht der kontrollierten Presse – und er wußte, wieviel besser es war, sie von Gott kontrollieren zu lassen. Überzeuge nur die Leser, daß Gott das geschrieben hat, was sie lesen (und versehe es auf diese Weise mit Autorität) und daß Gott nicht in dem war, was ihnen nicht zu lesen empfohlen wurde. Keine schlechte Idee für eine Gruppe von Anfängern. Es funktionierte damals und hat seither immer Erfolg gehabt. Aber kürzlich besaßen ein paar Leute den Nerv, aus dem Zug auszusteigen und zu seinem Anfang zu gehen, um herauszufinden, womit sich das Ding überhaupt fortbewegte.2
Soviel zum System. Nun noch etwas über die Art und Weise, in der man alles zusammenbringt. Wer würde das Schreiben für Gott übernehmen? Bestimmt nicht James. Sein Vorstoß ins Schriftstellerische erbrachte nur vier Bücher, von denen alle zum größten Teil von jemandem anderen abkopiert waren. Ellen, die nur eine Ausbildung bis zur dritten Klasse genossen hatte, schrieb bis jetzt noch nichts Nennenswertes. Keine sehr vielversprechende Kombination zu einer Zeit, als man gerade anfing, Bildung großzuschreiben. Zu einer anderen Zeit, an einem anderen Ort vielleicht. Aber allmählich kam man zu dem brillanten Experiment, durch das alles gelingen sollte. Warum nicht alles im Namen Gottes stehlen?
Schließlich war es bereits zuvor so gehandhabt worden – so sagen es jedenfalls die modernen Verteidiger des adventistischen Glaubens 130 Jahre später. Es kam so weit, daß gesagt wurde, Lukas habe von Markus abgeschrieben und daß Paulus Material von den Griechen erschlich, ohne es sie wissen zu lassen. Johannes, der Schreiber der Offenbarung, stahl von den Heiden des Altertums für seine Ideen, und Judas machte einen Versuch, der von einigen frühen pseudoepigraphischen Werken entnommen war. Sogar von Moses wird gesagt, daß er die Zehn Gebote, anstatt sie von Gott zu empfangen, von Hammurabi, einem Gesetzgeber des Altertums, oder sogar von anderen nahm, die vor ihm lebten.3
In Ellens Tagen war dies etwas Natürliches. Vor ihrer Zeit gab es Emanuel Swedenborg, der um 1740 Visionen über den König und die königliche Familie hatte. Er gründete eine Kirche und sah viele Dinge, die andere nicht sahen, von denen sich dann einige erfüllten. Die Führerin der Shaker in Amerika, Ann Lee, hatte wie Ellen keine Schulbildung, aber sie schrieb "Zeugnisse" an die Mitglieder. Auch wie Mrs. White verlangte sie "eine besondere Art von Kleidung" und "war gegen Krieg und den Genuß von Schweinefleisch." 1792 bezeichnete Johanna Southcott, eine Hausangestellte aus armem Elternhaus und mit einer geringen Schulbildung, sich selbst als eine Prophetin und berichtete über ihre Visionen, die zeigten, daß Christus sehr bald wiederkommen würde.4
Joseph Smith, eine Berühmtheit der Mormonen, hatte 1844 gerade die Szene verlassen. Es war eine große Enttäuschung für beide, für ihn und seine Anhänger, daß er erschossen wurde. Seine Laufbahn war kurz. Er kam 1805 zur Welt und starb 1844, in dem Jahr, in dem Mrs. White begann, ihre Offenbarungen zu haben. Er war arm und unbekannt gewesen, bis er anfing "Visionen" und "Offenbarungen" zu haben, Engel zu sehen und mit ihnen zu reden. Er lehrte die zweite Wiederkunft und daß seine Nachfolger die Kirche der Heiligen der letzten Tage werden würden, (wobei die anderen Gemeinschaften Heiden wären). Wie die Adventgemeinde hat diese Gemeinschaft durch ihren Propheten die Bibel neu geschrieben und neue Offenbarungen gehabt – obwohl gegenwärtige Nachforschungen zu bestätigen scheinen, daß das Material gestohlen war.5
Die Liste hat noch kein Ende. Mary Baker Eddy, eine Hauptfigur der Christlichen Wissenschaftler, lebte größtenteils zu Ellens Lebzeiten. Obwohl sich beide in ihrem Denken unterscheiden, glaubten die Jünger beider, daß die Prophetin von Gott inspiriert wäre und ihre Schriften benutzt werden sollten, um die Bibel zu interpretieren. Der bemerkenswerte Charles T. Russell, mit Verbindungen zum Wachturm und den Zeugen Jehovas, lebte ebenfalls zur Zeit Ellens. Seine Nachfolger glauben, sie seien die einzige wahre Kirche und alle anderen Babylon. Adventisten würden dem letzten Teil zustimmen, aber sie selbst betrachten sich als diejenigen, welche die einzig wahre Kirche bilden.6
Ellen begann allmählich, Material anderer zu gebrauchen. In den frühen 40er Jahren des 19. Jahrhunderts waren zwei Männer von der Millerbewegung beeindruckt, Hazen Foss und William E. Foy. Angeblich hatte Foss im September 1844 eine Vision, daß die Adventgläubigen mit ihren Prüfungen und Verfolgungen auf ihrem Weg zur Stadt Gottes wären. Ihm wurde gesagt, daß die Botschaft dem schwächsten Kind Gottes gegeben werde, wenn er sich weigern würde, sie an andere weiterzugeben. Auch Foy war in Berührung mit der Zukunft gekommen und hat seit ungefähr Januar 1842 darüber in schriftlicher Form und auf öffentlichen Versammlungen gesprochen. Ellen hatte als Mädchen in der Beethoven-Halle in ihrer Heimatstadt Portland, Maine, Foy sprechen hören.7 Da sie durch ihre Heirat mit Foss verwandt war, kann man annehmen, daß sie sowohl über seine als auch über die Visionen von Foy gelesen oder gehört haben könnte.
Die Situation war nun für beide, Ellen und Gott, perfekt. Die zwei Männer hatten sich geweigert, ihren Visionen auf den Grund zu gehen und einem wurde gesagt, daß Gott es dann dem Schwächsten der Schwachen geben würde. Wer könnte schwächer sein als Ellen? Anfang 1842, noch nicht 15 Jahre alt, hatte sie durch eigene Schuld viele seelische und körperliche Probleme. 1844 hatte sie immer noch Probleme. Ihre gefühlsmäßige und körperliche Unruhe könnte durch die Enttäuschung der Millerbewegung (in Richtung Ewigkeit) zugenommen haben. Mit einigen Befürchtungen wegen ihres Alters und wegen ihres Mangels an Erfahrung, nahm sie die Fackel aus den Händen von Foy und Foss, und ließ ihre erste Vision vom Stapel laufen.8 Sie war beinahe ein Duplikat der Visionen, die Foy und Foss als von Gott gegeben bezeichnet hatten, und sie war dem Original so getreu, daß sie den zukünftigen Erfolg einer der bemerkenswertesten Fälle von literarischem Ausborgen garantierte, den die Welt je gesehen hat.
Eine Ausgabe des Webster Wörterbuches definiert einen Plagiator so:
Jemand, der das Geschriebene eines anderen entwendet und es als sein eigenes ausgibt. Die Verwendung oder Imitation der Sprache oder der Gedanken eines anderen Autors und die Darstellung solcher als sein eigenes Werk. Der Akt des Entwendens der literarischen Werke oder der Einführungspassagen aus einem Werk einer anderen Person und die Darstellung dessen als sein eigenes; literarischer Diebstahl.
So hart es auch erscheinen mag, diese Definition würde die siebzehnjährige Ellen als Diebin charakterisieren – und diese Definition sollte für den Rest ihres Lebens gelten, dank der enormen Hilfe und der Ermutigung durch andere. Dies scheint ein sehr hartes Urteil zu sein. Viele, die gegenwärtig Entschuldigungen über Ellen White vorbringen, versuchen sie aus diesem Dilemma zu befreien, indem sie vorschlagen, daß Gott vielleicht einen anderen Maßstab für Propheten als für andere Autoren hat.9 Andere scheinen mit der Idee zufrieden zu sein, daß "jeder das tat." Es scheint ihnen entgangen zu sein, daß mit dieser Art von Logik der Himmel in die Begrenzung menschlichen Verhaltens eingeengt würde.
Andere wollen glauben, daß "sie es einfach nicht wußte." Aber sicherlich wußten es viele, die während mehrerer Jahre um sie herum lebten und darüber besorgt waren. Uriah Smith, ein früher und langjähriger Chefredakteur des Review, wußte es. 1864 erschien Folgendes auf der Redaktionsseite (ohne Namensnennung):
Plagiat
Dies ist ein Wort, das benützt wird, um "literarischen Diebstahl" zu bezeichnen, oder das Erzeugnis eines anderen zu nehmen und als eigenes auszugeben.
In World's Crisis (Dt.: Die Krise der Welt), vom 23. August 1864, findet man ein Gedicht richtig überschrieben mit "Für die World's Crisis!" und unterzeichnet mit "Luthera B. Weaver". Wie waren wir daher überrascht, in diesem Gedicht unsere altbekannte Hymne,
"Long upon the mountain weary
Have the scattered Flock be torn."Dieser Vers war von Annie R. Smith geschrieben worden und zuerst im Review, Bd. II, Nr. 8 vom 9. Dezember 1851 veröffentlicht worden. Er war in unserem Liederbuch seit der ersten Ausgabe zu finden, die danach veröffentlicht wurde. Aber das Schlimmste daran ist, daß der Vers verstümmelt wurde, der zweite und bezeichnendste Vers wurde ausgelassen, nämlich:
"Now the light of truth they're seeking,
In its onward track pursue;
All the ten commandments keeping,
They are holy, just and true.
On the words of life they're feeding,
Precious to their taste so sweet,
All their Master's precepts heeding,
Bowing humbly at his feet."Aber vielleicht hätte dies seine Herkunft klar enthüllt, da heutzutage kaum irgendeine Klasse von Menschen, außer den Siebenten-Tags-Adventisten, irgendetwas über alle Gebote Gottes usw. zu sagen hat. Wir sind nur zu bereit, Teile aus dem Review oder aus anderer Literatur in jeglichem Umfang zur Veröffentlichung in anderen Werken freizugeben und alles, was wir erbitten ist, daß uns Gerechtigkeit zuteil wird, indem uns gebührende Anerkennung gegeben wird.10
Smiths redaktionelle Ehrlichkeit hinterließ dauerhafte Spuren in der Geschichte der Zeitschrift. 1922, als Francis M. Wilcox Chefredakteur war, enthielt der Review zwei kurze Artikel zu dem Thema Diebstahl. Einer davon ist ohne Namensnennung auf der Redaktionsseite erschienen, unter dem Titel: "Bist Du ein Plagiator? Wenn ja, dann schreibe bitte nicht für den Review."11 Der andere kurze Artikel unter dem Titel "Geistliches Plagiat" von J. B. Gallion, war sogar etwas deutlicher:
Das Plagiat ist der Akt eines Schreibers oder Autors, die Arbeit eines anderen zu benutzen und ihn nicht als Quelle anzugeben. Wenn du z. B. einen Artikel schreiben würdest, in dem du "The Psalm of Life" oder nur einen Teil davon einfügen würdest und dann ermöglichst, daß er als dein eigenes Werk weitergegeben wird, ohne den Poeten Longfellow anzuführen, dann würdest du dich des Verbrechens des Plagiats schuldig machen. "Aber", sagst du, "jeder weiß, daß Longfellow 'The Psalm of Life' schrieb." Sehr viele wissen es, das ist wahr, aber viele wissen es auch nicht. Jene, die unwissend sind, könnten leicht getäuscht werden; aber die Tatsache, ob sie es wissen oder nicht, vermindert nicht deine Schuld. Du hast genommen, was nicht von dir ist und bist dennoch des literarischen Diebstahls schuldig. Es sind vielleicht nur einige wenige, die in der literarischen Welt unter den Bann des Plagiats fallen.12
Im Einklang mit dem "ehrlichen und offenen" Bestreben des Review, das über die Jahre hinweg die Leser zu ermutigen scheint, ehrlich zu handeln, standen auch jene, die Ellen zur Ehrlichkeit bewegen wollten. In einem Artikel des Review vom Juni 1980 wird dargestellt, daß man Ellen mitgeteilt hatte, wie falsch es war, auf diese Weise zu handeln; sie versicherte hoch und heilig, daß von da an alle Quellen angegeben werden sollten. Ein Leser schrieb an den Review und fragte nach dem Datum jener bemerkenswerten Konversation mit Ellens Eingeständnis. Hier ist die Antwort, die die anderen Leser nie zu sehen bekamen:
Du fragst danach, wann Ellen White Instruktionen gab, daß die Autoren von zitiertem Material in den Fußnoten ihrer Schriften angegeben werden sollten. Das war um 1909. Du fragst außerdem, in welchen späteren Werken diese Anweisung durchgeführt wurde. Das einzige Buch, das entsprechend dieser Instruktionen aufgelegt wurde, war Der große Kampf, der 1911 mit Fußnoten in einer neuen Auflage erschien.13
Da haben wir es. 1909, zum oben angegebenen Datum, war Ellen 82 Jahre alt, sechs Jahre vom Grab entfernt. In über 70 Jahren des Stehlens von Ideen, Worten und Redewendungen, legte sie nicht ein einziges Mal ein derartiges Bekenntnis ab. Die Herausgeber machten nur eine unbestimmte, sehr allgemeine Aussage über die Überarbeitung von Der große Kampf – und nur dann, als das Buch selbst zum Anlaß eines großen Kampfes geworden war.
Wenn ihre Entlarvung bevorsteht, finden Seher und Propheten ihre letzte Ausflucht in der Berufung auf einen Befehl Gottes – zu sehen und zu sagen, was andere vorher gesagt haben und dies in genau den gleichen Worten zu sehen und zu sagen, wie andere, denn Gott gab den Sehern die Worte zuerst. Bis zu ihrer Entdeckung haben sie es nur niemanden wissen lassen.
Robert W. Olson, der gegenwärtige Vorsitzende des White Estate, vertritt die gleiche Ansicht in seiner Schrift vom 12. September 1978, die überschrieben ist: "Wylies Sprache beschreibt, was sie selbst schon am 15. Mai 1887 gesehen hatte." Die Schrift vergleicht einen Abschnitt aus Ellens Tagebuch, das 1887 in der Schweiz niedergeschrieben worden war, mit einem Zitat von James A. Wylies The History of Protestantism, 1876. Die Abschnitte lauten wie folgt:14
| White, Ellen G. | Wylie, James A. (1876) |
|---|---|
| Zürich ist an den Ufern des reizvollen Züricher Sees gelegen. Er ist eine glänzende Wasserfläche, eingeschlossen von Ufern, die sich aufwärts ziehen, bekleidet mit Weingärten und Pinienhainen, in der Mitte strahlen kleine Dörfer und weiße Villen zwischen Bäumen hervor. Bebaute Hügel erheben sich, die dem Bild Mannigfaltigkeit und Schönheit geben, während am fernen Horizont Gletscher zu sehen sind, die in die goldenen Wolken übergehen. Zur Rechten ist die Umgebung eingegrenzt von den felsigen Wänden der Albis Alp, aber die Berge stehen ein Stück vom Seeufer entfernt, so daß sie dem Licht den Weg freigeben auf die Buchten des Sees und die weiten Flächen seiner lieblichen und fruchtbaren Ufer. So verleihen sie dem Bild eine Schönheit, der die Feder oder der Pinsel eines Künstlers nicht gerecht werden könnte. Der benachbarte Zug-See steht in bemerkenswertem Kontrast zu Zürich. Das ruhige Wasser und das schlummernde Ufer scheinen immerwährend in Schatten eingehüllt zu sein. | Zürich ist an den Ufern des reizvollen, gleichnamigen Sees gelegen. Er ist eine glänzende Wasserfläche, zwischen Ufern eingeschlossen, die sich allmählich aufwärts ziehen, hier mit Weingärten bekleidet, dort mit Pinienhainen, in der Mitte strahlen kleine Dörfer und weiße Villen hervor, welche die Szene beleben, während am fernen Horizont Gletscher zu sehen sind, die in die goldenen Wolken übergehen. Zur Rechten ist die Umgebung eingegrenzt von den felsigen Wänden der Albis Alp, aber die Berge sind ein Stück vom Seeufer entfernt, so daß sie dem Licht den Weg freigeben, damit es auf die Buchten des Sees und die weiten Flächen seiner lieblichen und fruchtbaren Ufer fallen kann. Sie geben der Aussicht, von der Stadt aus gesehen, eine Frische und Luftigkeit, die auffallend mit dem benachbarten Zug-See in Kontrast steht, bei dem das ruhige Wasser und das schlummernde Ufer immerwährend in die Schatten der großen Berge eingehüllt zu sein scheinen. |
Der Gedanke, daß Ellen alles zuerst in einer Vision mit den Worten dessen sah, von dem sie gerade kopierte, war Olson nicht neu. In Healdsburg, Kalifornien, debattierten 1889 einige White-Verteidiger mit den Ortspredigern. Nachdem sie etliche Vergleiche mit Autoren gezeigt hatten, die Ellen für ihr Material benützt hatte, sagten die Prediger:
Bruder Healey wollte das Komitee glauben machen, dass sie nicht literarisch gebildet ist. Außerdem sollte der Ausschuss glauben, die historischen Tatsachen und sogar die Zitate, seien ihr in Visionen gegeben worden, ohne Benutzung der üblichen Informationsquellen. Es ist aber zu beachten, dass Wylie die Quellen angibt, wenn er die päpstliche Bulle zitiert, Mrs. White aber nicht. Es ist sicher bemerkenswert, um es gelinde auszudrücken, dass Wylie als nicht inspirierter Schreiber in diesem Punkte ehrlicher ist als Mrs. White, die beansprucht, alle historischen Fakten und sogar Zitate in Visionen erhalten zu haben. Das könnte man als ein Beispiel mangelhafter Sehkraft bezeichnen.15
Das waren Prediger – wahrscheinlich glaubten sie an Inspiration und Visionen. Sie waren nicht gewillt, die Vorstellung zu akzeptieren, dass Gott menschliche Mittel umgangen hat, um Menschen durch Ellen zu erreichen.
Die meisten Menschen, die sich in ihrer religiösen Inbrunst derart verwirren lassen wie es Ellen mit ihren Schriften tat, machen Gott dafür verantwortlich. Adam hat dies getan, als der Teufel Eva zum Erfolg verhalf. Das adventistische White Estate versuchte dies, indem es die Idee aufbrachte, dass Christus selbst ein wenig abschaute, als er wirklich von Rabbi Hillel, der diesen Gedanken eine Generation zuvor gehabt hatte.16 Natürlich könnte es technisch gesehen für Gott in Ordnung sein, zu „stehlen“, da ihm sowieso alles gehört, aber auf uns Menschen scheint sich das nicht gut auszuwirken.
In einer Schrift des White Estate von 1979 wird uns gesagt, dass es zwei Gründe gibt. Der erste Grund: Sie konnte nicht sehr gut schreiben. Das dürfte den meisten Adventisten neu sein. Schließlich haben sie in ihren mündlichen und schriftlichen Auseinandersetzungen mehr als ein Jahrhundert lang ganze Abschnitte wortwörtlich aus ihrer Literatur zitiert und dabei erklärten sie immer, wie schön sich ihr Schrifttum liest. Der zweite Grund: Gott hat aus dem Kanon eine große Menge an Material ausgelassen, um die ganze Sache verständlich zu machen.17 Doch im 20. Jahrhundert war eine ganze Menge zum Kanon hinzugefügt worden, sogar mehr, als Gott wusste. Es wurde immer behauptet, dass sie dem Kanon nie etwas hinzufügte. Aber als die Angestellten des White Estate all die Worte zusammenzählten, die sie geschrieben hatte, kamen sie auf etwa 25 Millionen Worte. Spezialisten auf diesem Gebiete behaupten, dass hier die Menschen mit einer gewaltigen Anzahl von Richtlinien bombardiert werden.
Im selben Artikel des White Estate von 1979 wird uns gesagt, dass sich Ellen wahrscheinlich oft dessen, was sie tat, nicht bewusst war.18 Sie muss sich – in diesem Falle – wohl sehr lange dessen nicht bewusst gewesen sein, denn die Mitglieder des Glendale Komitees (die sich im Januar 1980 trafen, um zu untersuchen, ob sie vielleicht viel mehr von anderen Autoren kopiert hatte, als andere es wussten oder zugeben wollten) sagten, dass der Umfang des kopierten Materials größer wäre, als sie angenommen hätten und dies wäre alarmierend.19
Die letzte Gruppe, die beinahe das Gleiche erkannt und gesagt hätte, wurde vom Verkehr gezogen und ihr schädlicher Bericht galt bis vor kurzem als „verloren“, bis jemand in der Stahlkammer auf die Berichte dieser Versammlung stieß. (Das Spectrum-Magazin, in seinem Status der Unabhängigkeit, veröffentlichte diese Aufzeichnungen 1979 ohne die Formalität einer Druckerlaubnis).20
Das Glendale Komitee vom Januar 1980 – ebenfalls stückweise und so schnell wie möglich seiner Existenz beraubt – hatte viele hochgradige Diskussionen über die Frage, welches Wort passenderweise zu benutzen wäre: „Borgen“, „Plagiat“ oder „Paraphrasierung“. Es wurde niemals auch nur im Flüsterton behauptet (noch nicht einmal auf der Herrentoilette während der Pausen), dass Ellen Material gestohlen haben könnte.21 Aber wenn die Definition eines Wörterbuches über Borgen akzeptabel ist (d. h., „etwas zu nehmen oder sich anzueignen, mit dem Versprechen dies oder etwas Gleichartiges zurückzugeben“), dann glaubten weder sie noch ihre Helfer, dass sie etwas „borgten“.
Es wurde nicht nur verleugnet, dass sie jemals etwas nahm (bis sich vor kurzem Beweise dafür anhäuften), sondern es wurde immer gesagt, dass Gott es tat. 1867 erklärte Ellen:
„Obwohl ich im Schreiben meiner Ansichten so vom Geiste Gottes abhängig bin, wie ich es auch beim Empfang derselben bin, so sind doch die Worte, die ich benutze, um zu beschreiben, was ich gesehen habe, meine eigenen.“22
1876 hatte sie dann geschrieben:
„In alten Zeiten sprach Gott zu den Menschen durch den Mund der Propheten und Apostel. In diesen Tagen spricht er zu ihnen durch die Zeugnisse seines Geistes.“23
Indem sie sich selbst und ihre Schriften auf eine immer höhere Ebene stellte, behauptete sie 1882:
„Wenn ihr die Zuversicht des Volkes Gottes in den Zeugnissen schmäht, die er ihnen sandte, rebelliert ihr gegen Gott – genauso wie Korah, Dathan und Abiram.“24
Diese Ansprüche wuchsen mit der Zeit, bis sie sich selbst übertraf (1882):
„Als ich nach Colorado gegangen war, war ich wegen euch so belastet, dass ich in meiner Schwäche viele Seiten schrieb, die bei eurer Zeltversammlung vorgelesen werden sollten. Schwach und zitternd, stand ich um drei Uhr morgens auf, um euch zu schreiben; Gott hatte gesprochen. Ihr möget sagen, dass diese Mitteilung nur ein Brief war. Ja, es war ein Brief, aber vom Geist Gottes eingegeben, um Dinge vor eure Gedanken zu bringen, die mir gezeigt worden waren. In diesen Briefen, die ich schreibe, in den Zeugnissen, biete ich euch das dar, was der Herr mir präsentiert hat. Ich schreibe nicht einen Artikel in der Zeitschrift, der bloss Ausdruck meiner eigenen Gedanken wäre. Ich drücke in Worten das aus, was Gott mir in einer Vision eröffnet hatte – die wertvollen Lichtstrahlen, die vom Throne her scheinen.“25
Dann fragte sie weiter:
„Welche Stimme werdet ihr als die Stimme Gottes anerkennen? Welche Macht hat der Herr noch, um eure Fehler zu korrigieren und euch eure verkehrten Wege zu zeigen? Wenn ihr erst dann glauben wollt, wenn jeder Schatten von Unsicherheit und jede Möglichkeit des Zweifels entfernt ist, werdet ihr nie glauben. Der Zweifel, der nach vollständigem Wissen verlangt, wird nie zum Glauben führen. Glaube beruht auf Zeugnissen, nicht auf Beweisen. Der Herr verlangt von uns, der Stimme der Pflicht zu gehorchen, wenn andere Stimmen um uns herum sind, die uns dazu drängen, einen entgegengesetzten Weg einzuschlagen. Es erfordert ernsthafte Aufmerksamkeit von uns, die Stimme, die für Gott spricht, zu erkennen.“26
Das Problem bei diesem Abschnitt war, dass Daniel March in seinem Buch Night Scenes in the Bible Jahre vorher das Gleiche geschrieben hatte:
„Wir müssen unseren Gehorsam nicht zurückstellen, bis jeder Schatten von Unsicherheit und jede Möglichkeit des Zweifels entfernt ist. Der Zweifel, der nach vollkommenem Wissen verlangt, wird nie zum Glauben führen; denn Glaube beruht auf Möglichkeit, nicht auf Beweisen. Wir müssen der Stimme der Pflicht gehorchen, wenn viele andere Stimmen gegen sie schreien und es erfordert ernsthafte Aufmerksamkeit, die eine, die für Gott spricht, zu erkennen.“27
Die „Mir wurde gezeigt“-Passagen wurden zur Gewohnheit, denn der Ausdruck tauchte immer und immer wieder auf.
„Mir wurde gezeigt, dass eine wichtige Ursache des gegenwärtigen, beklagenswerten Zustandes in der Tatsache liegt, dass Eltern sich nicht verpflichtet fühlen, ihre Kinder im Einklang mit den Naturgesetzen zu erziehen. Mütter hängen in abgöttischer Liebe an ihren Kindern und geben deren Appetit nach, obwohl sie wissen, dass es ihrer Gesundheit schaden und dadurch Krankheit und Unglück über sie bringen wird...Sie haben gegen den Himmel und ihre Kinder gesündigt, und Gott wird sie zur Rechenschaft ziehen.
Die Leiter und Lehrer an Schulen...“28
Wenn jemand sich nicht schuldig fühlt und etwas Zeit damit verbringen will, sich in den Werken anderer umzuschauen, so kann er die gleichen Gedanken ohne den Zusatz „Mir wurde gezeigt“ in den Werken eines früheren Schreibers finden, den Ellen gelesen und bewundert hatte:
„Eltern sind auch dazu verpflichtet, ihre Kinder zu lehren und sie dazu zu bringen, in Übereinstimmung mit dem Naturgesetz um ihrer selbst willen zu leben... Wie fremd und unerklärlich, dass Mütter ihre Kinder so zärtlich lieben sollten, um ihnen in dem nachzugeben, wovon sie wissen, dass es deren Verfassung schaden und ihr Lebensglück beeinträchtigen könnte! Mögen viele Kinder vor solchen Hütern und vor solch grausamer Freundlichkeit gerettet werden!
Die Leiter und Lehrer an Schulen...“29
Solche Praktiken könnten die Ursache einer interessanten, vom White Estate 1980 auf Tonband gesprochenen Aussage sein, nach der einige ihrer „Mir wurde gezeigt“-Passagen erkenntnismäßig waren.30 Nun, das ist ein Wort. Es könnte bedeuten, dass der Hauptgrund, wenn nicht gar der einzige, für die Veränderung der „Mir wurde gezeigt“-Aussagen war, dass Ellens Helfer um das Problem wussten.
Über ihre „Helfer“ sollte William S. Sadler später schreiben: Untersuchungen hätten gezeigt, dass die meisten Mystiker und Magier der modernen Zeit „Vorsorge“ getroffen hätten, „sich mit gutausgebildeten und verlässlichen Verbündeten zu umgeben“!31 Wir werden einige von Ellens verlässlichen Verbündeten später kennenlernen.
Was Sadler über jene Helfer nicht wusste war aber, dass diese Ellen sogar beim „Ausborgen“ ihrer Visionen halfen. Als eine der bemerkenswertesten Illustrationen im Trugbild des „Ausleihens“ sollte Ellen einen Artikel im Review and Herald vom 4. April 1899 schreiben, der später in ihren Testimonies to the Church auftauchte. Er sagte Folgendes aus:
„Auf der Zeltversammlung in Queensland im Jahre 1898 wurden mir Anweisungen über unsere Bibelarbeit gegeben. In den nächtlichen Visionen sah es aus, als ob Prediger und Mitarbeiter in einer Versammlung waren und Bibelstunden wurden gegeben. Wir sagten: ‚Wir haben den grossen Lehrer heute bei uns‘ und wir hörten seinen Worten mit Interesse zu. Er sagte: ‚Da ist ein großes...‘“32
Das Unglaubliche an diesem Artikel ist, dass der grösste Teil des Materials aus dem Buch The Great Teacher entnommen war, das von John Harris im Jahr 1836 geschrieben worden war. Somit legt sie im Grunde genommen die Worte von John Harris in den Mund Gottes, als ihre eigene Vision. Aber nicht wirklich. Eigentlich waren die Worte, die sie kopierte, im Vorwort zu Harris' Buch von Heman Humphrey geschrieben worden, der als Direktor des Amherst College das Vorwort für seinen Freund Harris verfasste.33
Heutige Adventisten konnten über dieses Fiasko teilweise in der gemeinschaftseigenen Zeitschrift Review and Herald nachlesen, aber nirgendwo wurde zugegeben, dass Harris Ellen auch eine grosse Hilfe beim Schreiben ihrer Bücher Das Leben Jesu, Das Wirken der Apostel, Fundamentals of Christian Education, Counsels to Teachers und anderen Werken gewesen war.34
Keine noch so grosse Anzahl von Stellungnahmen im Review konnte zufriedenstellend erklären, wie Harris und sein Great Teacher durch Ellen White in Gott, den Grossen Lehrer, umgewandelt wurde. Diese Verwandlung fand mit Hilfe von Ellens Feder aber mehr als einmal statt.35